Drei Ebenen der Beziehungsorientierung

„Wir Menschen laden einander in wiederkehrende Interaktionsmuster ein, die eine gewisse Stabilität in unsere fortwährend sich verändernden Beziehungen entwickeln und erhalten.“
Karl Tomm

(leitender Professor der Psychiatrie, Universität von Calgary und Gründer des Familientherapieprogrammes)

Ich werde immer wieder gefragt, was das Besondere am experientiellen Familientherapie und FamilyCounselingansatz ist.
Um etwas mehr Klarheit in die Angelegenheit und vor allem in unser Arbeiten zu bringen, möchte ich heute auf eine kleine Reise in die Welt der Beziehungen einladen. Das ist eine komplexe Angelegenheit, die man unterschiedlich beleuchten und strukturieren kann. Heute gebe ich einen Einblick in drei verschiedene Beziehungsdimensionen.


Family Counseling arbeitet beziehungsorientiert. Dass Beziehungsgestaltung einer der wichtigsten Faktoren im professionellen Arbeiten (aber auch im Privaten) ist, ist heutzutage Allgemeinwissen. Die Qualität dieser Beziehungsgestaltung wird jedoch sehr individuell und auch abhängig von früheren Beziehungserfahrungen erlebt. Diese notwendige Differenzierung wird häufig als unbe.

Die erste Dimension ist, meine Beziehung zu mir selbst.
Wie trete ich mit mir selbst in Beziehung? Wie behandle ich mich? Wie bewerte ich mich? Wie beruhige ich mich? sind Fragen, die ich mir unterschiedlich bewusst stelle. Es sind Fragen und Themen, die manchmal unbequem sind. Es sind Fragen, die mich herausfordern. Wie ich über mich selbst denke und wie ich mich behandle hat seine Ursprünge in meiner Biographie und in meinen Erfahrungen. Manchmal ist das sehr festgefahren und unflexibel und wir bewerten uns selbst oft sehr schlecht. Meine Beziehung zu mir selbst wirkt sich auch tagtäglich in meinen Beziehungen zu anderen aus. Nicht von ungefähr wird in den meisten psychosozialen und pädagogischen Berufen, Selbstreflexion als wesentliche Voraussetzung für gutes Arbeiten gesehen. Aber häufig bezieht sich unsere Selbstreflexion auf die konkrete Handlungsebene und nicht auf die Beziehungsebene mit uns selbst. Aber ob ich hinschaue oder nicht, ändert wenig an der Tatsache, dass meine Beziehung zu mir selbst der größte Wirkfaktor in meinen Beziehungen zu anderen ist.

Die zweite Dimension ist die, welche die meisten von Euch, die unsere Arbeit verfolgen, am ehesten mit uns verbinden. Meine Beziehung als Fachfrau/Fachmann zu meinem Gegenüber
Wie trete ich in Beziehung und bringe mich persönlich ein – und wahre trotzdem die Grenzen des Anderen? Wie begegne ich Menschen in professionellen Beziehungen persönlich, aber nicht privat? Wie nutze ich meine Beziehung, um Veränderung, Heilung oder Entwicklung zu ermutigen und voranzutreiben? Was heißt das in Bezug auf meine Rolle und meine Aufgabe? Diese am individuellen Menschen orientierte Arbeitsweise hat für mich etwas sehr Faszinierendes. Sie ist sehr nah an den emotionalen Prozessen meines Gegenübers dran, nimmt die persönlichen Reaktionen und Berührungspunkte ernst und begleitet zur inneren Findung der eigenen Antwort. Die offene und anerkennende Haltung ermöglicht Entwicklungsraum, der oft durch zu lösungsorientiertes Denken verhindert wird.

Über die dritte und wichtige Dimension unserer Arbeit habe ich, wie mir erst bewusst geworden ist, in diesem Rahmen noch nicht viel geschrieben. Es ist der Blick auf die Beziehung als unser Klient/Patient.
Wir bei der IGfB betrachten und diagnostizieren nicht Probleme von einzelnen Menschen. Wir schauen uns die Prozesse, Muster und Dynamiken an, die zwischen Menschen ablaufen. Uns interessiert wie Anna auf Peter reagiert, und wie Peter auf Anna reagiert. Wir wissen, dass das für die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der beiden ausschlaggebend ist. Wir wissen, dass diese Dynamiken zu ernsthaften Schwierigkeiten und pathologischen Krankheiten führen können. Wir arbeiten aber auch mit tieferliegenden Mustern aus „alten“ Beziehungen, die an der Oberfläche bestimmte Reaktionen auslösen. Der kognitive und strukturelle Aspekt unserer Arbeit ist sehr schön in dem Buch „Interpersonal Patterns“ (2014, hrsg. Karl Tomm) beschrieben. Aber wie er auch ausführt, ist Verhalten für Beobachtung am besten zugänglich, aber in der zwischenmenschlichen Arbeit verdichtet sich das Beobachtete erst zu etwas Sinnvollen, wenn es mit den persönlichen Emotionen und inneren Haltungen gekoppelt wird. (vgl. S. 19). Wenn wir unseren Fokus auf die Beziehung legen, treten wir selbst in Interaktion mit dem Beziehungsmuster des Paares oder der Familie. Interventionen, die daraus entstehen, können verändern, gestalten und neue Erfahrungen zwischen diesen Personen ermöglichen.

In diesen Bereichen ist viel Veränderung möglich, ist persönliche Entwicklung faszinierend, wenn wir auch unsere Bedürfnisse nach Kontinuität, Verlässlichkeit und Sicherheit mit ins Boot holen. Diese Erfahrung treibt unsere Arbeit voran und ist unser Anliegen für unsere Gesellschaft.