Monat: Februar 2018

Gscheit Scheitern?!?

Also gleich vorne weg – von gescheit Scheitern halte ich nicht viel. Das geht einfach nicht zusammen – Scheitern ist Sch…! Das klingt so nach „aus Fehlern lernen“! Echt super! Immer und überall hört man, dass alles eh nur halb so schlimm ist. Nein! Scheitern tut weh! Scheitern ist echt kein Honigschlecken, das ein bisschen vermiest wurde oder ein Spaziergang an einem trüben Tag. Für mein Scheitern schäme ich mich auch. Würde es am liebsten verstecken. Sollte keiner mitbekommen und keiner kommentieren. Aber ich scheitere ja an Zielen, an Träumen und manchmal am normalen Leben. Alles Dinge, von denen andere wissen. Dinge, die ich nicht im stillen Kämmerlein gemacht habe.

Damit was Scheitern kann, habe ich ein Ziel gehabt – Wollte ich wohin. Ja, das ist dann wohl nicht aufgegangen! Hat wohl nicht hingehaut! Da habe ich wohl Fehler gemacht! Vielleicht hätte man es besser wissen können/besser machen können. Ich jedenfalls mal nicht.

Ich bin eine Durchhalterin, eine Dranbleiberin – Scheitern heißt aufgeben, loslassen, nicht weiterwissen. Nein das fühlt sich nicht gut an. Und nein, das suche ich mir nicht aus.

Scheitern kann man nur ganz oder gar nicht. Da kennt man sich zumindest aus. Es ist irgendwie eine ehrliche Sache. Ein bisschen Scheitern ist kein Scheitern. Das ist in die Knie gehen, sich anpassen, das ist hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitermachen, aber nicht Scheitern!

Scheitern ist Hinfallen, am Boden liegen und nicht weiterwissen. Oft nicht mal wissen, wie man wieder aufstehen kann oder soll. Geschweige denn wissen, wer einem helfen könnte, oder was sonst noch helfen könnte.

Aber woran scheitern wir denn? Wer bestimmt, dass etwas gescheitert ist? Meistens scheitern Träume, Ziele und Vorstellungen, die wir uns selbst gesetzt haben. Oder wir Scheitern an Wünschen und Vorstellungen anderer für unser Leben, die wir mehr oder weniger bewusst übernommen haben. Manchmal sind es Lebensträume wie ein Job oder eine Beziehung. Manchmal Projekte oder anderes.

Scheitern kann man nur an Dingen, die man angegangen ist. Ich habe etwas versucht, etwas ausprobiert, habe mich auf den Weg gemacht und das hat nicht funktioniert. Das ist nicht gelungen.

Wer bestimmt, dass das Nichterreichen eines sportlichen Zieles ein Scheitern ist? Dass das Zerbrechen einer Beziehung ein Scheitern ist? Wer sagt, dass ein Studien- oder Schulabbruch ein Scheitern ist?

Aber wenn es sich für mich wie Scheitern anfühlt, ist es das für mich auch. Auch wenn viele sagen: „du kannst ja trotzdem“, „das ist heutzutage nicht mehr so“, „im Nachhinein wirst noch froh sein“ und was Menschen sonst alles noch so sagen, wenn sie eigentlich nicht wissen, was sie sagen sollen, weil sie betroffen sind und die Schwere, der Verlust und die Trauer so schwer wiegen. Die Gefühle der Ohnmacht und der Hilflosigkeit, die oft mit Scheitern einhergehen, sind schwer auszuhalten und werden am liebsten mit schnellen Lösungen und guten Tipps zugedeckt. Nur nicht spüren, was so heftig und schwierig ist, ist da oft die Devise.

Wenn wir scheitern, lassen wir los; lassen wir etwas los, dass uns wichtig war; etwas, an dem unser Herz hing. Ja das tut weh – ganz ohne Wenn und Aber. Und auch wenn mit ein bisschen Abstand die Gefühle übertrieben scheinen, das sind sie nicht.

Oft bin ich im Leben noch nicht so gescheitert, aber oft genug, um zu wissen, dass es verdammt weh tut.

Beruflich begleite ich Menschen in schwierigen Lebensphasen und Prozessen. Und ja manchmal liegen sie wirklich am Boden und wissen nicht weiter, wissen nicht, wie sie die Scherben zusammenstückeln sollen. Manchmal wackelt innerlich so ziemlich alles, was wackeln kann, manchmal auch äußerlich. Man kennt sich nicht so, ist verunsichert und kann nur schwer klare Gedanken fassen. Der Boden der eigenen Realität ist hart, aber so crazy das vielleicht klingt, auch verlässlich. Wenn man am Boden ist, spürt man erst was wirklich trägt.

Every time I hit the ground, I find the strength to get up again“ (Marla Glen). Diese Erfahrung begleitet mich persönlich und beruflich schon lange. Sie gibt mir den Mut, ganz in die Tiefe zu gehen; den Mut hinzuschauen, was wirklich ist. Dem Boden zu vertrauen, auch wenn er sich hart und unnachgiebig anfühlt.

Ich mache immer wieder die Erfahrung: Erst wenn ich ganz in meiner eigenen Realität angekommen bin, ganz unten gelandet bin, erst dann verändert sich was in mir. Erst wenn ich ganz losgelassen habe, tun sich Dinge auf, die wirklich stimmig sind und mir und meinem Leben entsprechen. Es ist dann nicht mehr der Traum, der geplatzt ist, sondern etwas Neues, das mir und meinem Wesen – nicht den Bildern, die ich über mich habe – entspricht.

Ich lese auch Geschichten des Scheiterns in der Bibel (zb. Mose) so. Der heilige Boden vor dem brennenden Dornbusch ist auch die Begegnung mit sich selbst. Da ist nichts mehr geschönt, da gibt es nichts mehr zu erklären oder zu rechtfertigen. Wenn ich Gott von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehe, stehe ich auch mir selbst gegenüber. Meine Grenzen sind klar. Und ich bin überzeugt, dass das was sich dann entwickelt viel eher der Realität, den Begabungen, der inneren Tiefe des jeweiligen Menschen entspricht. Etwas, das durch die Begegnung in dieser Deutlichkeit erst zur Entfaltung kommt. Keine Ahnung, ob jeder scheitern muss; ob alle an dieser schmerzhaften Stelle vorbeikommen. Aber meine Erfahrung ist: Ohne die Gefahr des Scheiterns, ist das Leben nicht so bunt und vielfältig. Wenn ich nichts ausprobiere, kann ich auch nichts falsch machen. Ist aber ziemlich langweilig und lähmend.

Alles richtigmachen, das Scheitern um jeden Preis vermeiden ist anstrengend. Dann muss alles passen und funktionieren. Träume, Eventualitäten, neue Ideen und Entwicklungen haben keinen Raum. Da kann nicht mehr als der Plan aufgehen (der natürlich auch scheitern kann).

Das Leben will gelebt werden und die Gefahr des Scheiterns lauert überall, wo man sein Herz an etwas hängt.

5 Tipps zum Umgang mit Scheitern:

  1. Freundlichkeit – Scheitern ist kein Feind und niemanden ist geholfen, wenn wir so tun als ob es das wäre. Freundlich sein heißt Wohlwollen und Verständnis, dass es so ist wie es ist.
  2. Anerkennung – verschämt Verstecken und Verheimlichen macht alles nur schlimmer und gibt mehr Gewicht und Schwere als notwendig. Anerkennung ist Wertschätzung des Menschseins mit all seiner Unzulänglichkeit.
  3. Schutz – Menschen, die Scheitern brauchen Schutz und die Sicherheit, dass sie so oder so ok sind. Auch wenn was vermeidbar gewesen wäre – Na und?! Sie brauchen Raum und Zeit, sich wieder auf die Beine zu stellen.
  4. Zugehörigkeit – der Schmerz der Ausgrenzung, des nicht Dazugehörens ist einer der heftigsten psychischen Schmerzerfahrungen. Menschen brauchen Gruppen- oder Familienzugehörigkeit. Manche mehr, manche weniger. Aber ausgeschlossen zu werden ist eine existentielle Bedrohung. Das braucht keiner und erst recht nicht, wenn man gerade gescheitert ist.
  5. Reden – Wenn keiner über sein Scheitern im Kleinen und Großen spricht, fühlt sich jeder, der scheitert noch einsamer und verlassener – Reden über die eigene Realität und Worte für die eigenen Empfindungen finden, verhilft unserem Gehirn Sinn zu machen. Es geht um ehrliche Worte, die sitzen. Wo man mit jeder Faser seines Seins, spürt: Ja genauso ist es mit mir! Und dieses Reden braucht ein Gegenüber – einen Zuhörer/eine Zuhörerin, die nicht an Antworten denkt und der keine Lösungen sucht.

Ich wünsche mir und uns Mut zum Scheitern! Mut zum Leben! Zum Ausprobieren! Mut zum Fehlermachen! Mut zum Träumen! Mut zum Menschsein!

Erst im Gehen entwickelt sich der Weg, erst im Scheitern wird klar, welcher Boden in mir trägt.

Dieser Text wurde in der Zeitschrift „Junge Gemeinde“ Nr 224: 2017 der Evangelischen Jugend Österreich erstveröffentlicht.