Monat: Juli 2016

Ein Fußballtrauma?!?

Vorne hinweg: Ich gönne der deutschen Nationalmannschaft ihren ersten Sieg über Italien[1].

Aber ganz platt: sie haben damit kein Trauma überwunden oder ähnliches.

Was ist eigentlich ein Trauma? Was ist eine Kränkung? Eine Enttäuschung? Und warum macht es Sinn diese Begriffe zu verstehen und zu unterscheiden.

Psychische Fachbegriffe werden zunehmend stärker von Presse und Netzwerken übernommen. Das hat zwar den Effekt, dass alles rund um das Psychische nicht mehr so stark tabuisiert wird, aber das ist ein zweischneidiges Schwert. Es findet nämlich eine brisante Vermischung von Begriffen und Halbwissen statt.

Was ist eigentlich ein Trauma? Was ist eine Kränkung? Eine Enttäuschung? Und warum macht es nicht nur für Fachleute Sinn diese Begriffe zu verstehen und zu unterscheiden.

Deshalb heute Mal ein bisschen psychologisches Hintergrundwissen aus Anlass der EM Berichterstattung, die neben existentiellen Themen unsere Presse derzeit vereinnahmt.

Die Fakten sind: Deutschland hat noch nie in einem Großereignis gegen Italien gewonnen – das ist reine Statistik. Aber wie wir alle wissen kommen hier Emotionen, Hoffnungen und vieles mehr in Bewegung. Durch die Tatsache 0 Siege / 4 Niederlagen wurde das neuerliche Zusammentreffen besonders aufgeladen. „Die Bilanz ist erschütternd: Acht Spiele, vier Unentschieden, vier Niederlagen.[2] Was macht das erschütternd?

Mit jeder Niederlage sind Gefühle der Frustration, der Kränkung und der Scham verbunden. Das sind alles Gefühle, über die keiner leicht spricht. Das sind sehr „persönliche“ Gefühle, die offenbart keiner gerne. Aber jeder kennt sie – in unterschiedlichem Ausmaß und mit unterschiedlichen Schlussfolgerungen. In seltenen Fällen ist eine Niederlage sogar gefühlt auch ein Sieg, was wir diese Tage auch erlebt haben: „Und die Isländer fahren im Bewusstsein heim, ohnehin irgendwie Sieger der 15. EM gewesen zu sein. Und deren wohl größten Sympathieträger.[3] Der Spiegel schreibt „Trauma überwunden, grenzenloser Jubel[4] aber auch dass Löw von einem Trauma nichts wissen will …

Was wäre denn ein Trauma?

Und was ist der Unterschied zwischen einem Trauma und einer Kränkung, zwischen einem Trauma und einer anderen psychischen Verletzung. Und warum wäre auch eine weitere Niederlage für Deutschland kein Trauma gewesen?

Ein Trauma ist ein vitales Diskrepanzerlebnis. Man steht zwischen einer bedrohlichen Situation und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten[5]. Es ist der menschliche Umgang mit der Katastrophe.

Ein traumatisches Erlebnis ist eine Situation, die mich (Leib und/oder Seele) massiv und existentiell bedroht und in der meine Handlungsmöglichkeiten nicht ausreichen, um mich zu schützen oder mich zu wehren. Das führt zu sehr starken Gefühlen der Ohnmacht und des schutzlos Preisgegebenseins und führt kurz- und langfristig zu einer Erschütterung des Selbst und des Weltverständnisses, das Grundvertrauen in die Welt schwindet.

Es bedarf mindestens dieser drei Elemente, um von einem Trauma zu sprechen

  1. Existentiell bedrohlich!
  2. Ohnmacht und keine ausreichenden Handlungsmöglichkeiten
  3. Massive Erschütterung des Selbst und des Weltverständnisses

Humorvoll gesprochen können wir im Fall der deutschen Nationalmannschaft vielleicht davon sprechen, dass ihr Selbstbild durch die wiederholten Niederlagen erschüttert wurde. Aber keine der Niederlagen war existentiell bedrohlich und das Team war weder schutz- noch hilflos dem Ganzen ausgeliefert. 11 sportliche, starke Männer haben sich als Erwachsene freiwillig einem Duell gestellt, und die Realität hat ihnen (in diesem Fall mehrfach) die Grenzen ihres Könnens aufgezeigt. Ganz einfach – das ist enttäuschend und je nachdem wie es verlaufen ist und wie danach darüber gesprochen wird möglicherweise auch kränkend.

Traumatisierende Erlebnisse finden in Kriegen statt (betrifft alle vor Krieg flüchtenden Menschen), bei Katastrophen, einem Unglück. In solchen Situationen ist man einem oder mehreren traumatische Erlebnissen ausgesetzt. Nicht jeder ist aber in der Folge von einer Posttraumatischen Belastungsstörung betroffen. Viele Menschen entwickeln durch ihre persönlichen und sozialen Ressourcen einen wertvollen und sinnvollen Umgang mit dem erlebten Trauma[6].

Eine weitere Form der Traumatisierung sind Kindheitstraumata – aber nicht alle Kränkungen und Verletzungen, die ein Kind erleidet sind traumatisierend. Traumatisierend wird es genauso wie oben beschrieben, wenn es (aus Kindessicht!!) bedrohlich erlebt wird, die eigenen Handlungsmöglichkeiten nicht ausreichen und das Kind sich falsch fühlt. Kinder lernen in diesen Situationen emotional „einzufrieren“, still zu werden. Und entwickeln ein starkes Bedürfnis, sich auszukennen und zu orientieren und Dinge soweit möglich zu kontrollieren. Das ist ein sinnvoller Versuch die eigenen Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Diese Kinder sind immer auf der Hut, weil sie die erlebte Katastrophe, die oft nicht bewusst zugänglich ist, nicht benennen können und nie wissen können, ob nicht wieder etwas Schlimmes unerwartet passiert.

Das ist in aller Kürze ein kleiner Abriss über psychische Traumata. Und das ist gerade im Umgang mit geflüchteten Kindern und Erwachsenen, oder anderen Menschen, die Heftiges erlebt haben ein hilfreiches Hintergrundwissen.

Andererseits ist Trauma aber ein „großes“ und vor allem abstraktes Wort, das uns die Möglichkeit gibt über etwas Schlimmes und Heftiges zu sprechen, ohne direkt eine Gefühlsanbindung zu haben. Das Wort Trauma löst bei den meisten Menschen nicht die Angst und die Bedrohung aus, von der sie eigentlich handelt. Das macht es auch für die Presse leicht es als reißerische Schlagzeile zu nutzen.

ABER:
Viel häufiger als Traumatisierungen finden Enttäuschungen und Kränkungen, Demütigungen und Beschämungen statt. Zum Beispiel bei Niederlagen im Sport, im Schulalltag, im Job und in der Partnerschaft.

Über diese Erfahrungen und Erlebnisse zu sprechen ist , wie oben erwähnt, für die meisten Menschen schwierig. Man kann kaum über Enttäuschungen sprechen, ohne in Berührung mit den dazugehörigen Gefühlen zu kommen. Und auch der Begriff der Kränkung löst unmittelbar starke Empfindungen aus, auch wenn er konkret schwer zu fassen ist. Wenn man diese Begriffe ausspricht, spürt man die menschliche Verletzlichkeit; das Persönliche und Individuelle, das jeder Kränkung innewohnt.

Ich mache in Therapiesitzungen und Beratungen die Erfahrung, dass schon allein, dass ich anspreche, dass etwas enttäuschend oder kränkend gewesen sein könnte, zu starken Abwehrmechanismen führen kann. Menschen rechtfertigen, erklären und werten sich und ihre Empfindungen selber ab. ZB. die Enttäuschung anerkennen, dass ich von meinen Eltern nicht das bekommen habe, was ich vielleicht gebraucht hätte, holt das Gefühl heim. Es wird mein Gefühl. Oder wenn ich damit in Berührung komme, dass mich vielleicht eine lächerliche Kleinigkeit, die mein Partner vergessen oder gesagt hat, wirklich gekränkt hat (auch wenn es nicht logisch sein mag). Dann zeige ich mich verletzlich, dann bin ich in Berührung mit meinen Gefühlen und Empfindungen, mit mir als ganzem Menschen und mit aller Unsicherheit, die dieses Leben mit sich bringt. Dieses Gefühl des Ganzseins ist gleichzeitig auch eine wesentliche Komponente psychischer Stabilität und Gesundheit.

Enttäuschung, Kränkung, Scham und Verletzlichkeit – ein wichtiger Teil des Lebens

Es ist für unsere persönlichen Beziehungen, für unsere Partner und unsere Kinder wichtig, dass wir über Enttäuschungen, Kränkungen und Beschämendes sprechen. Dass wir unser Vokabular erweitern und unsere inneren Empfindungen benennen. Und alle drei angesprochenen Erfahrungen und Gefühlskomplexe sind Dinge, die zwischen Menschen passieren. Es gibt immer einen, der kränkt (manchmal absichtlich, zb. Mobbing – manchmal unabsichtlich und oft sogar unwissentlich), etwas das kränkt (ein Satz, ein Blick, etwas Vorenthaltenes, …) und jemand, der durch etwas gekränkt wird. Es landet auf persönlichen wunden Punkten. Deshalb kann ein Satz, den einen kränken und den anderen nicht.

Die Niederlagen waren sicher enttäuschend, frustrierend, vielleicht auch kränkend und beschämend für die deutsche Nationalmeisterschaft. Aber das weiß leider keiner von uns so genau, weil über diesen Aspekt nicht gesprochen wird. Das Spiel wird analysiert, die Fehler ausgebreitet. Experten und Nichtexperten wissen im Nachhinein alles besser, aber die Gefühle, die Frustration, die Kränkungen, Demütigungen die auch dadurch entstehen, haben keinen Raum. Damit entsteht eine Gesellschaft, die jedem von uns stillschweigend vermittelt, diese Gefühle solltest du gar nicht haben.

Es macht aber auch Sinn, dass das in unserer sehr wertenden und leistungsorientierten Gesellschaft, diese Themen nicht angesprochen werden. Wenn man solche Gefühle zeigt, zeigt man seine verletzliche Seite, macht sich angreifbar und daher brauchen diese einen bewertungsfreien Raum. Einen Raum, wo man gemeinsam sagen kann: „shit happens“ und wenn es um Kränkung geht: „sorry“.

An dieser Stelle noch zwei Bücher sehr empfehlenswerte, gut zu lesende Bücher:

Ganz neu „Die Macht der Kränkung“ von Reinhard Haller. Als Gerichtspsychiater kommt er zwar von der extremen Seite, aber alles, was er beschreibt, lässt sich weniger extrem ausgeprägt in unserem Alltag und in unseren Beziehungen wiederfinden.

Und „Scham – die tabuisierte Emotion“ von Stephan Marks. Einführung in die Aspekte der Scham und die Auswirkungen auf uns als Einzelne, auf unsere Gesellschaft und auf Erziehung.


[1] www.derstandard.at/2000040294227/Deutschland-ueberwindet-Italien-Trauma-nach-verruecktem-Elferschiessen

[2] www.11freunde.de/artikel/deutschland-vs-italien-die-schlimmsten-niederlagen

[3] www.derstandard.at/2000040337679/La-Gloire-fuer-Frankreich-Chapeau-fuer-Island

[4] www.spiegel.de/sport/fussball/em-2016-deutschland-nach-italien-sieg-um-demut-bemueht-a-1101046.html

[5] Fischer/Riedesser 2009 Lehrbuch der Psychotraumatologie

[6] Schiffer, Wie Gesundheit entsteht 2011

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Drei Ebenen der Beziehungsorientierung

„Wir Menschen laden einander in wiederkehrende Interaktionsmuster ein, die eine gewisse Stabilität in unsere fortwährend sich verändernden Beziehungen entwickeln und erhalten.“
Karl Tomm

(leitender Professor der Psychiatrie, Universität von Calgary und Gründer des Familientherapieprogrammes)

Ich werde immer wieder gefragt, was das Besondere am experientiellen Familientherapie und FamilyCounselingansatz ist.
Um etwas mehr Klarheit in die Angelegenheit und vor allem in unser Arbeiten zu bringen, möchte ich heute auf eine kleine Reise in die Welt der Beziehungen einladen. Das ist eine komplexe Angelegenheit, die man unterschiedlich beleuchten und strukturieren kann. Heute gebe ich einen Einblick in drei verschiedene Beziehungsdimensionen.


Family Counseling arbeitet beziehungsorientiert. Dass Beziehungsgestaltung einer der wichtigsten Faktoren im professionellen Arbeiten (aber auch im Privaten) ist, ist heutzutage Allgemeinwissen. Die Qualität dieser Beziehungsgestaltung wird jedoch sehr individuell und auch abhängig von früheren Beziehungserfahrungen erlebt. Diese notwendige Differenzierung wird häufig als unbe.

Die erste Dimension ist, meine Beziehung zu mir selbst.
Wie trete ich mit mir selbst in Beziehung? Wie behandle ich mich? Wie bewerte ich mich? Wie beruhige ich mich? sind Fragen, die ich mir unterschiedlich bewusst stelle. Es sind Fragen und Themen, die manchmal unbequem sind. Es sind Fragen, die mich herausfordern. Wie ich über mich selbst denke und wie ich mich behandle hat seine Ursprünge in meiner Biographie und in meinen Erfahrungen. Manchmal ist das sehr festgefahren und unflexibel und wir bewerten uns selbst oft sehr schlecht. Meine Beziehung zu mir selbst wirkt sich auch tagtäglich in meinen Beziehungen zu anderen aus. Nicht von ungefähr wird in den meisten psychosozialen und pädagogischen Berufen, Selbstreflexion als wesentliche Voraussetzung für gutes Arbeiten gesehen. Aber häufig bezieht sich unsere Selbstreflexion auf die konkrete Handlungsebene und nicht auf die Beziehungsebene mit uns selbst. Aber ob ich hinschaue oder nicht, ändert wenig an der Tatsache, dass meine Beziehung zu mir selbst der größte Wirkfaktor in meinen Beziehungen zu anderen ist.

Die zweite Dimension ist die, welche die meisten von Euch, die unsere Arbeit verfolgen, am ehesten mit uns verbinden. Meine Beziehung als Fachfrau/Fachmann zu meinem Gegenüber
Wie trete ich in Beziehung und bringe mich persönlich ein – und wahre trotzdem die Grenzen des Anderen? Wie begegne ich Menschen in professionellen Beziehungen persönlich, aber nicht privat? Wie nutze ich meine Beziehung, um Veränderung, Heilung oder Entwicklung zu ermutigen und voranzutreiben? Was heißt das in Bezug auf meine Rolle und meine Aufgabe? Diese am individuellen Menschen orientierte Arbeitsweise hat für mich etwas sehr Faszinierendes. Sie ist sehr nah an den emotionalen Prozessen meines Gegenübers dran, nimmt die persönlichen Reaktionen und Berührungspunkte ernst und begleitet zur inneren Findung der eigenen Antwort. Die offene und anerkennende Haltung ermöglicht Entwicklungsraum, der oft durch zu lösungsorientiertes Denken verhindert wird.

Über die dritte und wichtige Dimension unserer Arbeit habe ich, wie mir erst bewusst geworden ist, in diesem Rahmen noch nicht viel geschrieben. Es ist der Blick auf die Beziehung als unser Klient/Patient.
Wir bei der IGfB betrachten und diagnostizieren nicht Probleme von einzelnen Menschen. Wir schauen uns die Prozesse, Muster und Dynamiken an, die zwischen Menschen ablaufen. Uns interessiert wie Anna auf Peter reagiert, und wie Peter auf Anna reagiert. Wir wissen, dass das für die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der beiden ausschlaggebend ist. Wir wissen, dass diese Dynamiken zu ernsthaften Schwierigkeiten und pathologischen Krankheiten führen können. Wir arbeiten aber auch mit tieferliegenden Mustern aus „alten“ Beziehungen, die an der Oberfläche bestimmte Reaktionen auslösen. Der kognitive und strukturelle Aspekt unserer Arbeit ist sehr schön in dem Buch „Interpersonal Patterns“ (2014, hrsg. Karl Tomm) beschrieben. Aber wie er auch ausführt, ist Verhalten für Beobachtung am besten zugänglich, aber in der zwischenmenschlichen Arbeit verdichtet sich das Beobachtete erst zu etwas Sinnvollen, wenn es mit den persönlichen Emotionen und inneren Haltungen gekoppelt wird. (vgl. S. 19). Wenn wir unseren Fokus auf die Beziehung legen, treten wir selbst in Interaktion mit dem Beziehungsmuster des Paares oder der Familie. Interventionen, die daraus entstehen, können verändern, gestalten und neue Erfahrungen zwischen diesen Personen ermöglichen.

In diesen Bereichen ist viel Veränderung möglich, ist persönliche Entwicklung faszinierend, wenn wir auch unsere Bedürfnisse nach Kontinuität, Verlässlichkeit und Sicherheit mit ins Boot holen. Diese Erfahrung treibt unsere Arbeit voran und ist unser Anliegen für unsere Gesellschaft.